Medikation und Folgen

Die Suche nach den bestmöglichen Medikamenten und die Auseinandersetzung mit ihren Wirkungen spielt im Umgang mit den Schmerzen bei unseren Erzählenden eine zentrale Rolle.

Erwähnung fanden Substanzklassen wie unterschiedlichen Analgetika und entzündungshemmende Mittel, Psychopharmaka, Antiepileptika, Muskelrelaxantien und Cortison. In der Behandlung von Kopfschmerzattacken spielten spezielle Kopfschmerzmittel die größte Rolle (siehe „Kopfschmerzmittel“). Viele Patienten berichteten von besonderen Erfahrungen mit opioidhaltigen Medikamenten (siehe „Morphin und andere Opioide“). Auch wenn die Erzählenden Psychopharmaka oder Antiepileptika verschrieben bekommen hatten, berichteten sie von ganz spezifischen Wirkungen und Folgen (siehe „Psychopharmaka und Antiepileptika“). 

Die meisten erzählten, dass sie zu Beginn ihrer Schmerzerkrankung versucht hatten, die Beschwerden mit frei verkäuflichen Medikamenten in den Griff zu bekommen. Das konnte auch unterschiedlich lange ganz erfolgreich sein, bis diese Medikamente gegen die Schmerzen nicht mehr ausreichten oder erhebliche Nebenwirkungen, meist Magen-Darm-Beschwerden, nach sich zogen. 

Franz Albrecht erzählt, wie die Medikamente immer weniger wirkten und immer mehr auf den Magen schlugen.

Dann wurde meist ein Umsetzen auf andere Substanzen mit ärztlicher Verschreibung und therapeutischer Begleitung notwendig. Häufig musste schließlich auf andere Substanzklassen wie Opiode zurückgegriffen werden (siehe „Morphin und andere Opioide) Auch die Menschen, die auf eine Dauermedikation mit Opioiden eingestellt waren, erzählten, dass sie zur Bekämpfung von Schmerzspitzen oft zusätzlich auf Nicht-Opioide wie Diclofenac, Metamizol oder Ibuprofen zurückgriffen (siehe „Umgang mit Schmerzspitzen“). Einige berichteten vor allem bei Rückenschmerzen von guten Erfolgen mit Baclofen, das die Muskulatur entspannt und eine bessere Beweglichkeit zur Folge hat. Vor allem Schmerzen im Bewegungsapparat konnten einige recht gut auch mit Diclofenac erträglich machen und schätzten daran, das es nicht benommen und schwindelig macht. 

Martin Sander steigerte seine Medikamentendosis extrem, bis er mit einer Schmerzspezialistin bessere Lösungen ausprobieren konnte.

Anke Dreyer hatte eine lange Medikamentenliste, bis sie schließlich den Arzt wechselte und medikamentös gut eingestellt war.

Alle probierten lange und viel aus, um für sich die beste Lösung zu finden. Sie erzählen von vielen Versuchen und großen Mengen unterschiedlicher Präparate, die sie oft in kurzer Zeit wechseln mussten, weil Nebenwirkungen auftraten oder die Substanzen keine positiven Effekte hatten. Das verlangte von ihnen und den Ärzt*innen viel Geduld und eine gute Zusammenarbeit. Auch wenn die optimale Art und Dosis erreicht worden waren, konnte es häufig passieren, dass nach einiger Zeit wieder neu gesucht oder die Dosis gesteigert werden musste.

Nicht alle berichteten von einer befriedigenden Medikation und einige sind nach wie vor auf der Suche. Öfters mussten sie von Ärzt*innen hören, dass man medikamentös nichts mehr für sie tun könne. Fast immer wurden verschiedene Substanzklassen kombiniert mit dem Ziel, die optimale Mischung mit den geringsten Nebenwirkungen zu erreichen.

Bei Eva Helwig pendelten sich die Nebenwirkungen nach einiger Zeit tatsächlich ein.

Die Art der Verabreichung konnte sehr wichtig für Wirkung und Verträglichkeit sein. Manche berichteten von guten Erfolgen mit Retard-Formen der Medikamente, mit Depotspritzen oder mit Schmerzpumpen, die ihre Substanzen unmittelbar am Rückenmark abgeben und damit geringer dosiert werden können (siehe auch „Morphin und andere Opioide“). Clemens Hofmann stellte mit gutem Erfolg seine Schmerzpumpe von Morphin auf das Nicht-Opioid Ziconotid um und kann damit Entzugserscheinungen vermeiden, falls die Pumpe einmal ausfallen sollte. 

Unsere Erzählenden sprachen alle den Konflikt an, einerseits zu erleben, dass die Medikamente gegen den Schmerz hilfreich sind, andererseits zu wissen, dass sie längerfristig dem Körper schaden können. Sie erzählten, wie belastend es ist, die Schmerzlinderung jetzt vielleicht mit Schäden in der Zukunft zu erkaufen und bereuen zu müssen. Die Kopfschmerzpatient*innen erzählten von der Gefahr, durch die Schmerzmittel selbst einen medikamentenbedingten Kopfschmerz zu entwickeln. Einige berichteten, dass die Ärzt*innen sie unter Druck setzten, die Medikamente deswegen zu reduzieren oder abzusetzen. Mit diesem Konflikt gingen sie ganz unterschiedlich um.

Eva Helwig entschied sich für die Hormontherapie aus Sorge später keine Kinder mehr bekommen zu können.

Kerstin Meck bekam immer stärkere Medikamente, bis sie sie eigenmächtig absetzte, weil ihr die Einnahme im Alltag mit Kindern fahrlässig schien.

Maja Geissler ist kein Fan von Schmerzmitteln und nimmt sie nur im Notfall.

Einige Erzählende wägen jedes Mal ab ob sie rechtzeitig ein stärkeres Schmerzmittel nehmen oder sie auf die Einnahme verzichten können.

Kerstin Meck muss genau bedenken, wann sie Schmerzmittel einnimmt, um weiterhin am Alltag teilnehmen zu können.

Julia Bode versucht bestmöglich die Einnahme von Schmerzmitteln einzuschränken.

Wie wichtig es ist, gemeinsam mit dem Arzt oder der Ärztin herausfinden zu können, was am besten hilft, wird immer wieder betont.

Martin Sander rät allen, die Medikamente offen mit den Ärzten abzusprechen, womit er selbst sehr gute Erfahrungen gemacht hat.

Viele Endometriose Patientinnen fühlen sich mit ihren Schmerzen nicht wahrgenommen, da ihnen als einzige Option oft die Einnahme der Pille genannt wird.

Maja Geissler wünscht sich, dass Symptome schneller ernstgenommen werden und nicht sofort eine Hormontherapie als einziger Ausweg verschrieben wird.

Peggy Reichel erzählt wie die Hormontherapie einerseits ihre Lebensqualität steigerte, andererseits aber zu unerwünschten Nebenwirkungen führte.

Christiane Wiedemann reflektiert wie die Einnahme von Schmerzmitteln die Ursachensuche aufgeschoben hat.

Neben den spezifischen Nebenwirkungen der Opioide, Kopfschmerzmittel oder Psychopharmaka berichteten die Erzähler bei den nicht-opioiden Analgetika vor allem von Magen-Darm-Schmerzen, Verdauungsproblemen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schwindel, Problemen mit der Sexualität oder Überempfindlichkeiten bei lokaler Anwendung.  Nebenwirkungen konnten verhindern, dass ein gut gegen die Schmerzen wirksames Medikament dennoch nicht genutzt werden konnte. Oft war die Abwägung zwischen Schmerzerleichterung und Belastung oder Schaden  durch die Nebenwirkungen sehr heikel oder sogar unmöglich. Manche fühlten sich von Schmerzmitteln so beeinträchtigt, dass es ihnen damit noch schlechter ging als vorher. Andere fanden es schwierig, zwischen den Symptomen der Schmerzerkrankung und den Folgen der Medikamente zu unterscheiden. Um sich nicht negativ gegen ein Medikament einnehmen zu lassen, lehnen es einige ab, den Beipackzettel zu lesen. 

Auch die mögliche körperliche und psychische Abhängigkeit von den Medikamenten und die Entzugserscheinungen beim Absetzen wurden als sehr belastend beschrieben. 

Susanne Maurer nahm durch die Medikamente stark zu und fand es schwierig, das Gewicht wieder zu verlieren.

Valeria Pérez stellt sich ihren Medikamentencocktail selber zusammen und dosiert manchmal auch über.

Karin Moll setzt auf die Kombination von homöopathischen Mitteln und anderen Medikamenten.

Einige Erzählende sind allgemein unzufrieden mit dem, was Medikamente für sie leisten können. Renate Schröder fand, dass der geringe Therapierfolg die erheblichen Nebenwirkungen nicht aufwiegen konnte. Andere sind aus grundsätzlichen Erwägungen gegen Medikamente eingestellt, zum Teil auch, weil sie bei anderen Menschen negative Folgen beobachteten.

Rita Ahlers lehnt Psychopharmaka ab, weiß aber, dass es ganz ohne andere Medikamente leider nicht geht.

Die Art und Weise, wie die Medikamente von Seiten der Ärzt*innen verschrieben werden, fand einige Male Kritik. So wollte Franz Albrecht beim Praxisbesuch nicht nur schnell sein Rezept ausgeschrieben bekommen. Einige erzählten, dass Ärzt*innen ihnen Medikamente verordneten, die sie wegen anderer Erkrankungen nicht hätten nehmen dürfen.

Nadine Thiel erzählt, wie sie durch einen Endometriose-Spezialisten herausfand, dass eine Hormontherapie für sie kontraproduktiv ist.

Viele berichteten, dass sie auch immer wieder nach Alternativen zu den Medikamenten suchen, um die Belastungen des Körpers so gering wie möglich zu halten, und dann zu Mitteln wie Wärme, Massagen oder Einreibungen greifen oder auch alternativmedizinische Möglichkeiten ausprobieren (siehe „Komplementäre und alternative Therapien“). Auch an den Rückenmarksstimulatoren (siehe „Rückenmarksstimulation“) schätzten ihre Träger*innen vor allem, dass sie ihnen möglich machten, weniger oder gar keine Medikamente mehr zu nehmen.

Monika Roth hat viele kleine Hilfen, zu denen sie greift, wenn sie bei Unternehmungen Schmerzen bekommt.