Schmerz und psychische Folgen

Chronische Schmerzen betreffen nicht nur den Körper, sondern den ganzen Menschen mit Geist und Psyche. Alle unsere Erzählerinnen und Erzähler schildern, dass die Schmerzen sich auf ihre seelische Befindlichkeit und ihre ganze Person auswirken, wobei diese Auswirkungen sowohl positive als auch negative Seiten haben können. Es macht einen großen Unterschied im Erleben der Schmerzen und ihren Folgen, wo und mit welcher zeitlichen Ausdehnung sie auftreten: ob sie dauerhaft da sind und die Ruhephasen stören, ob sie von bestimmten Aktivitäten, Haltungen oder Überbeanspruchungen abhängen, oder ob sie wie bei manchen chronischen Schmerzerkrankungen in Attacken kommen.

Inge Lux spürt den Zusammenhang zwischen Schmerzen und Psyche.

Besonders beim Auftreten von Attacken können die Schmerzen die ganze Person beherrschen und jede andere Tätigkeit oder jeden anderen Gedanken zunichte machen. Einer unserer Erzähler*innen nennt seine Schmerzen ein "Folterinstrument".

Tanja Werner beschreibt den Clusterkopfschmerz als Wahnsinn, so dass man bei Attacken manchmal nicht mehr weiß, was man tut.

Manche haben den Eindruck, dass ihre Schmerzen intensiver sind, wenn sie ein Augenmerk darauf haben. Sie können gelegentlich ganz unterschwellig bleiben, bis die Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird.

Alexander Schwarz erzählt, wie ihm die Phantomschmerzen erst Jahre nach dem Unfall durch seine Frau bewusst gemacht wurden.

Die Schmerzen bringen Marianne Bühler an ihre Grenzen.

Häufig ist der Schmerz von anderen unangenehmen Erscheinungen begleitet: Rötungen oder Schwellungen der schmerzenden Körperteile, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Schwächegefühle. Für viele können die Folgen oder Begleiterscheinungen der Schmerzen ebenso belastend werden wie die Schmerzen selbst. Besonders die Störung des Nachtschlafs ist sehr quälend, vor allem dann, wenn tagsüber wieder ein voller Einsatz der Kräfte verlangt wird. 

Bei Beate Schulte ist der skoliosebedingte Schmerz mit anderen Symptomen verbunden, die sehr lästig sein können.

Nadine Thiel verfiel in Panikattacken wenn die Schmerzen begannen. Die Unvorhersehbarkeit der Schmerzen stellen für sie eine enorme Belastung dar.

Einige empfinden es als hilfreich, während schlimmer Schmerzphasen Begegnungen mit anderen Menschen zu meiden und sich zurückzuziehen, weil sie dann weniger Rücksicht nehmen müssen. Sie sind dann lieber allein, weil es ihnen die zusätzliche Sorge erspart, andere mit ihren Schmerzen hilflos und unglücklich zu machen. Aufenthalte in Menschenansammlungen können auch das Risiko beinhalten, ungeschickt gestoßen oder angefasst zu werden (siehe auch „Umgang mit Schmerzspitzen“).

Alexander Schwarz ist bei Schmerzen am liebsten allein, weil sie sich auf seine Stimmung auswirken.

Meike Decker muss sich auf ihr Umfeld im Falle einer Schmerzattacke verlassen können, um ohne Angst ausgehen zu können.

Nicht nur die Schmerzen, sondern auch der Verzicht auf viele wichtige Dinge und Aktivitäten wie Sport, Freizeitbeschäftigungen, die Pflege des Freundeskreises und andere Freuden schränken die Lebensqualität und Lebensfreude ein. Menschen mit chronischen Schmerzen müssen von vielen wichtigen und liebgewonnenen Tätigkeiten und Freuden im Leben Abschied nehmen. Das kann viel Bitterkeit schaffen. Auch wenn man diese Phasen der Trauer und des Ärgers über die vielen Verluste überwindet, können sie immer wieder kommen. 

Britta Kern hat gemerkt wie sie die Schmerzen verändert haben.

Die meisten unserer Erzählerinnen und Erzähler finden sich selbst als Person durch die Schmerzen verändert. Sie berichten von einer Zunahme von Reizbarkeit, depressiven Verstimmungen, Missmut, Unlust und Antriebslosigkeit. Dies kann sich auf die Phasen beschränken, in denen der Schmerz besonders schlimm ist, einige sehen sich jedoch auch dauerhaft beeinträchtigt.

Für Beate Schulte kann es nicht ausbleiben, dass der Schmerz einen Menschen verändert.

Britta Kern empfand es zusätzlich zermürbend durch die Medikamente stark zuzunehmen.

So kann es sehr bitter sein, mit sich selbst wegen der Veränderungen, die man an sich wahrnimmt, unzufrieden und uneins zu sein. Einige Erzähler*innen berichteten, dass es ihnen lange sehr schwer fiel, sich mit den Veränderungen durch die Schmerzen noch wertzuschätzen und sich nicht selbst zu verurteilen. Es kann ein sehr langer, aber sehr wichtiger Prozess sein, sich auch als Mensch mit Schmerzen zu akzeptieren.

Die Veränderungen im Selbsterleben müssen jedoch nicht immer negativ sein: einige unserer Erzählerinnen und Erzähler empfinden sich als ruhiger und weniger impulsiv, als mitfühlender und toleranter anderen Menschen gegenüber oder auch als disziplinierter und bedachtsamer im Vergleich zu früher. Sie sehen es als positiv an, dass sie gelernt haben, sich besser zu beobachten und besser für ihr Wohlbefinden zu sorgen, ihre Ansprüche herunterzuschrauben und dankbarer für gute Zeiten zu sein. Sie haben auch gelernt, ihre eigene Tapferkeit und Ausdauer angesichts des Schmerzes zu würdigen (siehe auch „Gedanken zum Leben mit Schmerzen“).

Für Christiane Wiedemann haben die Schmerzen zu viel Umdenken und Veränderung bezüglich ihres Perfektionismus geführt.

Richard Schäfer beginnt, seinen Körper besser wahrnehmen zu können.

Julia Bode beschreibt wie sie versucht mit unterschiedlichen Gefühlen zurecht zu kommen.

Gleichzeitig bedeutet der Schmerz für die meisten auch eine Herausforderung, sich zu verändern, neue Kräfte zu mobilisieren und Einsichten zu gewinnen. 

Für Martin Sander ist Akzeptanz sehr wichtig.

Rita Ahlers hat gelernt loslassen zu können.

Svenja Neuhaus hält sich immer wieder vor Augen, dass auch gute Tage kommen.

Viele unserer Erzähler und Erzählerinnen erwähnen, dass es Zeiten gab, an denen ihnen das Leben kaum mehr lebenswert erschien und sie mit dem Gedanken umgingen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Es kann sehr schwer sein, nicht in Hoffnungslosigkeit zu verfallen, wenn die Schmerzen auch auf stärkste Medikamente nicht ansprechen. Eine Frau vermutet, dass fast alle Menschen mit chronischen Schmerzen zeitweise in einer solchen Verfassung sind. Dennoch blieb ihnen immer genügend Hoffnung, dass ihre Situation sich wieder verbessern könnte, oder sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie solche dunklen Zeiten überwinden konnten oder neue Hilfe kam. Andere wurden durch die Verpflichtungsgefühle, die sie ihrer Familie oder anderen Menschen gegenüber verspürten, aufrecht gehalten, bis sich ihre Lage wieder besserte.

Für Thomas Lärcher war die Diagnose und der damit verbundene Renteneintritt sehr belastend.

Karin Moll ist erschrocken wie weit der Schmerz sie getrieben hat.

Holger Ziegler hat sich immer weiter von Familie und Freunden abgekapselt.