Auswirkungen auf den Alltag

Manche unserer Interviewpartner*innen hatten auch noch einige Monate nach der Infektion noch körperliche Einschränkungen, die ihren Alltag bestimmten. In den Erzählungen wurde deutlich, dass ihr „Leben nicht mehr so war, wie es vorher [vor der Infektion] war“ und dass das Erleben ihrer körperlichen Beschwerden ganz unterschiedliche Auswirkungen auf ihre Leben hatte. Die langanhaltenden Symptome oder körperlichen Beschwerden, so schilderten sie, erschwerten oder machten ihren bisherigen familiären sowie beruflichen Alltag annähernd unmöglich.

Einige unserer Interviewpartner*innen mit langanhaltenden Symptomen erzählten, dass sie aufgrund der Symptome das Gefühl hatten, keine Kontrolle mehr über ihren Körper zu haben und auch das Vertrauen in ihren Körper zu verlieren. Lars Enders, der besonders mit Konzentrationsschwäche und Vergesslichkeit zu tun hatte, fühlte sich daher wie im Gefängnis und physisch sowie psychisch angegriffen.

Lars Enders hatte keine Gewalt mehr über seinen Körper und fühlte sich wie im Gefängnis.

Vereinzelt schilderten Interviewpartner*innen, dass sie sich auch durch ihre körperlichen Beschwerden verändert hatten. So beschrieb Monika Steiner, dass sie bei sich Wesensveränderungen feststellte. Ihr fiel es sehr schwer, geschäftlich „nett“ zu sein. Damit konnte ihr Umfeld auch nur schwer umgehen. Auch Regina Kopp meinte, durch die Beschwerden dünnhäutiger geworden zu sein.

Monika Steiner konnte nicht mehr „nett sein“, ging aber sonst sehr offen mit ihren Beschwerden im Alltag um.

Regina Kopp empfand sich als dünnhäutiger als früher, besonders bei der Frage, ob es ihr immer noch nicht bessergehen würde.

Einfache, alltägliche Aktivitäten im Alltag, wurden für viele Interviewpartner*innen aufgrund der langanhaltenden Symptome, wie z.B. Schmerzen, Konzentrationsschwäche und Abgeschlagenheit, zu herausfordernden Aufgaben. Anna Schwenke- Korac schilderte, dass sie das Haare waschen und Duschen aufgrund von Schmerzen und großer Abgeschlagenheit zu sehr anstrengte und sie sich danach ausruhen musste. Sie erfuhr bei einem Treffen ihrer Selbsthilfegruppe, dass es anderen Betroffenen ähnlich ging. Zu wissen, dass man dies nicht alleine erlebte, beruhigte sie.  Auch das Autofahren beschrieben viele als zu anstrengend, sodass sie darauf verzichteten. Dies belastete sie, da sie dadurch in ihrer Mobilität eingeschränkt waren.

Anna Schwenke-Korac strengte das Haare waschen und Duschen an.

Lothar Winkler empfand das Autofahren aufgrund von Konzentrationsschwächen zur Arbeit (15 km) als zu anstrengend.

Karla Schlösser sagte, dass ihr zuhause alles schwerer fiel und sie nicht so belastbar war.

Außerdem konnten viele Interviewpartner*innen nicht mehr wie vor der Infektion am gemeinsamen Familienleben teilnehmen. Gemeinsames Essen oder Spielen mit den Kindern empfanden einige als zu anstrengend. Besonders schlimm war für sie, kaum für ihre Kinder da sein zu können und/ oder den Kindern verständlich zu machen, dass sie nicht mehr so belastbar waren. Auch zu sehen, dass ihre Kinder mit ihnen litten und Angst um sie hatten, bedrückte unsere Interviewpartner*innen sehr.    

Helen Struch beschrieb, dass ihre Kinder große Ängste um sie hatten und sie nicht richtig für ihre Kinder da sein könnte.

Karl Metz fiel es schwer, seinen Kindern zu vermitteln, dass er nicht mehr so konnte wie vorher.

Manche Interviewpartner*innen erzählten auch, dass sie die Angst vor erneuter Ansteckung in ihrem Alltag einschränkte und/oder sie dadurch Lebensqualität verloren. So mieden sie eher soziale Zusammenkünfte mit mehreren Menschen. Die Möglichkeit, sich testen lassen zu können, half dabei, diese Ängste etwas zu mindern.

Stephan Bergmann hatte ein ungutes Gefühl bei Menschenansammlungen und war dankbar für die Bürgertestungen.

Die Mehrheit unserer Interviewpartner*innen mit langanhaltenden Symptomen schilderte in ihren Interviews, dass sie von ihrem privaten sowie auch beruflichen Umfeld viel Verständnis und Unterstützung erhielten. Ab und an erlebten einzelne Interviewpartner*innen aber Situationen, wo man sie und ihre Symptome nicht ernst nahm. Dass andere nicht erkannten, wie sehr ihre Beschwerden ihren Alltag einschränkten, war für einige Interviewteilnehmer*innen nur schwer zu ertragen. So erzählte Dominique Kouri verzweifelt, dass sie kaum laufen konnte und sie nicht verstehen konnte, warum niemand ihr glaubte, dass sie alltägliche Dinge nicht mehr machen konnte. Dies belastete sie sehr. Außerdem begannen einige, an sich und ihrem Empfinden zu zweifeln und fragten sich, ob sie sich eventuell die Symptome nur einbildeten.

Dominique Kouri konnte kaum laufen und fragte sich, warum ihr keiner glaubte, dass ihr die alltäglichen Dinge so schwerfielen.

Martin Krause fragte sich, ob er sich alles einbildete und sagte, dass man Long COVID nicht sieht.

Andrej Schwenke- Korac fühlte sich von der Gesellschaft belächelt, da man ihm seine Symptome nicht ansieht.

Viele unserer Interviewpartner*innen versuchten trotz langanhaltender Symptome nach der Akutphase wieder zu arbeiten. Sie erzählten, wie sie sich von Urlaub zu Urlaub oder von Krankschreibung zu Krankschreibung hangelten. Manchmal vergingen Monate, bis sie merkten, dass es so nicht weitergehen konnte. Einige erzählten, dass sie ihre Arbeitsstunden reduzierten, sich um eine Reha-Maßnahme (Rehabilitation) bemühten oder erst mal längere Zeit krankgeschrieben wurden.  

Andrej Schwenke- Korac war abwechselnd krankgeschrieben oder ging arbeiten.

Anna Schwenke- Korac schleppte sich zuerst von Urlaub zu Urlaub, bis sie dann mit ihrem Ehemann gemeinsam entschied, ihre Arbeitsstunden zu kürzen.

Von ihren Vorgesetzten und ihren Kolleg*innen erlebte die Mehrheit unserer Interviewpartner*innen viel Unterstützung und Verständnis. Nur vereinzelt berichteten Interviewpartner*innen über Unverständnis ihrer Kolleg*innen oder Vorgesetzten. Ruth Großer erzählte, dass ihr während der Arbeit aufgrund ihrer Konzentrationsschwäche Fehler unterliefen und ihre Kolleg*innen sie bei ihrem Vorgesetzten meldeten. Dies war sehr belastend für sie. Ihr Chef reagierte aber sehr verständnisvoll und hielt ihr den Rücken frei, sodass sie bis zu ihrer Reha weiterarbeiten konnte und sich nicht krankmelden musste. Später unterstützte er sie auch bei der Gründung einer Selbsthilfegruppe.

Ruth Großer war es immer wichtig, ihre Aufgaben perfekt zu machen.

Der Arbeitgeber von Julia Unruh war sauer, da sie schon seit Monaten krankgeschrieben war.

Nach einigen Wochen oder Monaten versuchten viele unsere Interviewpartner*innen mit langanhaltenden Symptomen mit einer Wiedereingliederungsmaßnahme zurück in ihren Arbeitsalltag zu finden. Tobias Egger beschrieb, dass er sehr aufgeregt war, wieder in den Job einzusteigen, da er neun Monate nicht mehr gearbeitet hatte und Angst hatte, nicht mehr mithalten zu können. Auch die Angst, eigene Grenzen zu überschreiten, war groß. Zu wissen, dass sein Chef und die Kolleg*innen hinter ihm standen, half ihm, diese Ängste etwas zu mindern.

Tobias Egger hatte Angst vor der Wiedereingliederung.

Manchen, wie auch Lars Enders, half die Wiedereingliederung, wieder ins Leben und in den Beruf zu finden.

Lars Enders wollte nicht zwei Monate krank sein und war sehr froh, dass in seinem Fall einer stufenweisen Wiedereingliederung zugestimmt wurde und er so wieder ins Berufsleben zurückfand.

Andere mussten die Wiedereingliederungsmaßnahme aufgrund der hohen Belastung wieder abbrechen. Dominique Kouri schilderte, wie sie mit wenigen Stunden wieder zurück in ihren Job zurückkehren wollte und dass sie dies nach einiger Zeit wieder abbrechen musste. Sie schaffte es körperlich nicht. Sie erzählte, dass sie in dieser Zeit von ihrer Krankenkasse und ihre Betriebsärztin unterstützt wurde, die ihr auch zum Abbruch rieten.

Dominique Kouri beschrieb, wie anstrengend sie es fand, auch wieder nur ein paar Stunden zu arbeiten und sie diese wieder abbrechen musste.

Nicole Dachner war froh, wieder zu arbeiten und unter Menschen zu sein, musste aber die Wiedereingliederung aufgrund von Erschöpfung abbrechen.

Nicht mehr arbeiten zu können, war für viele Interviewpartner*innen mit langanhaltenden Symptomen besonders beängstigend. So wussten sie oftmals nicht, wie es mit ihnen und ihren Familien finanziell weitergehen sollte. Einige Interviewpartner*innen befanden sich kurz vor der Aussteuerung, mussten Arbeitslosengeld oder Erwerbsminderungsrente beantragen. Für Ruth Großer fühlte sich die Aussteuerung so an, als ob sie wertlos war und das System nichts mehr für sie übrighatte. Viele beschrieben auch, wie anstrengend es für sie war, die Anträge auszufüllen. Nicole Dachner erzählte, dass sie sich für das Ausfüllen der Anträge extra Hilfe gesucht hatte und dies sie sehr entlastete.

Ruth Großer bekam durch die Aussteuerung weniger Geld und fühlte sich wertlos.

Nicole Dachner suchte sich Hilfe beim Ausfüllen der Unterlagen.

Vor allem die Unterstützung und das Verständnis ihrer Familien, Lebenspartner*innen und ihrem Freundeskreis half vielen unserer Interviewpartner*innen, die langanhaltenden Symptome und deren Auswirkungen besser zu bewältigen. Mehr dazu unter Umgang mit langanhaltenden Symptomen.

Das soziale Umfeld von Regina Kopp gab ihr viel Kraft.