Umgang mit langanhaltenden Symptomen

Einige unserer Interviewpartner*innen erlebten langanhaltende Symptome, die große Auswirkungen auf ihr Leben hatten. Ihren beruflichen und privaten Alltag konnten diese Interviewpartner*innen oftmals nicht mehr wie vor ihrer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bewältigen. In den Interviews beschrieben sie, wie sie damit umgingen und was ihnen dabei half.

Viele unsere Interviewpartner*innen, die bereits einige Monate mit den langanhaltenden Symptomen lebten, erzählten, dass sie gelernt hatten, mehr auf sich und ihren Körper zu hören, körperliche Grenzen zu akzeptieren und/oder achtsamer mit sich im Alltag umzugehen, sich auch Ruhepausen zu gönnen. Da die Schwere der Symptome tagesformabhängig war, die Interviewpartner*innen mal gute und mal wieder schlechtere Tage erlebten, beobachteten sie sich und ihren Körper genau, um zu sehen, was am Tag an alltäglichen Aktivitäten möglich war und was nicht. Nicole Dachner machte sich daher Wochenpläne, um für sich eine gute Balance zwischen täglichen Aktivitäten, dem familiären Alltag und Ruhephasen zu finden.

Nicole Dachner plante ihre Wochen und Tage, so fand sie auch immer Zeit für handwerkliche Projekte zuhause, die ihr viel Freude bereiteten.

Regina Kopp genoss es, jeden Tag so einteilen zu können, wie es ihr guttat und sich Ruhepausen zu gönnen.

Für die meisten unserer Interviewpartner*innen kam es nicht infrage, nur abzuwarten und die Symptome auszusitzen. So beschrieben sie, wie sie selbst aktiv wurden und sich Hilfe oder Linderung suchten.

Viele wollten die Symptome nochmals abklären, suchten daher unterschiedliche Fachärzte und/oder COVID-Ambulanzen auf oder nahmen an Studien zu Long COVID teil. Sie schilderten, wie sie dort nochmals komplett durchgecheckt wurden und weiterführende Informationen zu ihren Symptomen erhielten. Außerdem hatten sie besonders in den COVID-Ambulanzen und als Teilnehmer*innen von Studien das Gefühl, dass sie dort verstanden und vor allem ernst genommen wurden.  

Felicitas Welter berichtete, dass bei ihrer Studienteilnahme Antikörper gefunden wurden und dies war für sie eine Erleichterung, da dies zeigte, dass sie nicht psychosomatisch erkrankt war.

Dominique Kouri erzählte, dass sie aufgrund ihres Geruchs- und Geschmacksverlusts an einer Studie teilnahm und es wichtig fand, dass ihre Erfahrungen auch im medizinischen Bereich wahrgenommen wurden.

Viele unserer Interviewpartner*innen schilderten, dass sie auch auf alternative Heilmethoden, wie z.B. Atemtherapie, zurückgriffen, um Symptome zu lindern. Atemtherapien, Ernährungsumstellungen und das Erlernen von Entspannungstechniken wurden als hilfreich erlebt. Felicitas Welter erzählte, dass ihr die Atemtherapie dabei half, schmerzhafte und andere Symptome zu bewältigen und sie zu mildern. Nadine Schiller sowie Helen Struch erzählten beide, dass sie sich mehr mit ihrer Ernährung auseinandersetzten und mehr darauf achteten, was sie aßen. Dies half beiden, sich besser zu fühlen und ihre Symptome etwas zu lindern.   

Felictas Welter lernte mit der Atemtherapie, ihre Symptome zu lindern.

Helen Struch nahm eine Darmsanierung vor und achtete vermehrt auf ihre Lebensmittelunverträglichkeiten im Alltag.

Nadine Schiller erzählte, wie sie begann ein Ernährungstagebuch zu schreiben und Lebensmittel wegließ, nach denen es ihr schlechter ging.

Auch mit sportlicher Aktivität bzw. Bewegung versuchten unsere Interviewpartner*innen, ihre Kondition wieder zu verbessern und wieder zu Kräften zu kommen. Wichtig war vielen eine Aktivität draußen in der Natur. Spazieren zu gehen im eigenen Tempo tat vielen gut und sie genossen die Zeit für sich. Ab und an beschrieben einige Interviewteilnehmer*innen, wie sich in langsamen Schritten ihre Kondition verbesserte und wie die Kurzatmigkeit stetig weniger wurde. Helen Struch hatte die Möglichkeit, das Gemüsebeet des Bauernhofes zu bearbeiten, wo sie und ihre Familie Urlaub machten. Sie hatte in ihrem Tempo das Beet beackert und merkte nach einiger Zeit eine Verbesserung ihrer Symptome. Für manche Interviewteilnehmer*innen waren solche Aktivitäten auch bedeutsam, um in Kontakt und Bewegung mit ihren Familien zu kommen.

Helen Struch bemerkte bei der Arbeit im Gemüsebeet, dass sie wieder in Bewegung kam und so auch wieder mit den Töchtern spazieren gehen konnte.

Martin Krause beschrieb, wie regelmäßige Abenteuer in der Natur im Rahmen seines Hobbies „Bushcraft“ die Familie nähergebracht hatte.

Andere stellten sich ihr eigenes Rehabilitationsprogramm zuhause zusammen. Diese Programme waren bei den Interviewpartner*innen unterschiedlich und beinhalteten nur Anwendungen oder Therapien, die ihnen guttaten. Manche empfanden, dass sie durch diese Programme auch wieder leistungsfähiger wurden. Für einzelne Anwendungen oder Therapien mussten sie selbst zahlen. Mehr dazu finden Sie unter Rehabilitation.

Ruth Großer erstellte ihren eigenen Rehaplan, manche Anwendungen zahlte sie selbst.

Vereinzelt erzählten unsere Interviewpartner*innen auch, dass sich ihre Haltung gegenüber den langanhaltenden Symptomen im Laufe der Zeit veränderte. So beschrieb Tobias Egger, dass er zunächst dachte, dass seine Symptome nicht psychisch sein könnten, da er körperliche Beschwerden hatte. Nach dem Besuch einer psychosomatischen Tagesklinik änderte er seine Sichtweise und sah den Körper sowie die Psyche im Zusammenhang.

Tobias Egger glaubte nun, dass Körper und Geist zusammenarbeiteten: Das Eine bedingt das Andere. Früher dachte er nicht so.

Um Sorgen und Ängste zu lindern, suchten alle unsere Interviewpartner*innen mit langanhaltenden Symptomen Gespräche und den Austausch mit anderen, sowohl in ihrem privaten, als auch im beruflichen Umfeld. Die Unterstützung der eigenen Familie bzw. der Lebenspartner*innen waren den Interviewpartner*innen besonders wichtig. Dies gab ihnen Halt in der neuen Lebenssituation. Den Austausch mit ihrem Ehemann hielt auch Ilona Bergmann für besonders wichtig, da sie und ihr Ehemann ganz unterschiedliche Krankheitsverläufe hatten. Sie war während ihrer Erkrankung zuhause und ihr Ehemann wurde aufgrund seiner Symptomatik intensivmedizinisch versorgt, beide waren nachträglich von langanhaltenden Symptomen betroffen. Sie sagte, dass sie und ihr Ehemann frühzeitig begannen, viel miteinander zu reden und dies ihnen half, auch die Sicht und die Ängste des anderen zu verstehen.

Ilona Bergmann und ihr Ehemann redeten viel miteinander, um die Erkrankung und ihre Folgen zu bewältigen.

Der Austausch mit anderen Betroffenen, auch im Rahmen von Reha-Maßnahmen und/oder dem Besuch einer Selbsthilfegruppe beschrieben viele unserer Interviewpartner*innen als besonders hilfreich. Dort erfuhren sie Verständnis, sie wurden ernst genommen, trafen Menschen mit ähnlichen Symptomen und konnten sich dort über neueste Therapie- sowie Behandlungsmöglichkeiten von Long COVID informieren. Mit anderen Betroffenen zu sprechen, brauchten manche unserer Interviewteilnehmer*innen so dringend, dass sie eine Selbsthilfegruppe in ihrer Region gründeten, wenn es noch keine gab. Manchmal erzählten unsere Interviewpartner*innen, dass sich auch Kontakte zu Mitgliedern der Selbsthilfegruppe außerhalb der Gruppentreffen entwickelten, um sich austauschen zu können. Vereinzelt sagten aber auch Interviewpartner*innen, dass sie beim ersten Besuch des Treffens der Selbsthilfegruppe etwas schüchtern waren, wie auch Dominique Kouri. Ihr war es zunächst auch etwas peinlich, anderen von ihrer Erkrankung zu erzählen, dies legte sich aber bald.

Julia Unruh beschrieb, dass sie sich das erste Mal mit ihrem Krankheitsverlauf und ihren Symptomen in der Selbsthilfegruppe verstanden fühlte.

Lothar Winkler erzählte, dass er eine Selbsthilfegruppe gründete und sich mit dieser auch zum Waldbaden verabredete.

Karl Metz hatte in der Reha eine schlechte Phase und war froh sich mit einer Bekannten aus der Selbsthilfegruppe, der es ähnlich ging, austauschen zu können.

Dominique Kouri erfuhr im Rahmen der Treffen der Selbsthilfegruppe, dass es Gehirntraining gab.

Anna Schwenke-Korac konnte im Rahmen ihrer Selbsthilfegruppe einen Termin mit einem Professor arrangieren, der ihr und den anderen Mitgliedern schneller Termine in einer COVID-Ambulanz vermittelte.

Die meisten unserer Interviewpartner*innen, die langanhaltende Symptomen erlebten, gingen in ihrem beruflichen und privaten Umfeld mit diesen offen um. So sprachen sie auch mit Kolleg*innen oder Vorgesetzten über die Symptome, wenn sie bereits wieder arbeiteten oder wenn sie kurz davor waren, wieder in das Arbeitsleben zurückzukehren. Besonders die Gespräche mit Vorgesetzten halfen dem Großteil der Interviewteilnehmer*innen, gerade wenn sie dort Verständnis erlebten.

Tobias Egger hatte immer Kontakt zu seiner Firma und sein Vorgesetzter riet ihm, auf sich zu achten und seine Grenzen zu akzeptieren.