Die Erfahrungen von Friedel Kessler

Portrait Friedel Kessler ist zum Zeitpunkt des Interviews 74 Jahre alt und lebt in Rente. Sie ist androgyn, verheiratet und pflegt ihre demenzkranke Frau. 2011 hatte Friedel Kessler einen Harnverhalt, im Zuge dessen auch ein Prostatakarzinom entdeckt wurde. Durch ihr Engagement in der Selbsthilfe und ihre eigene Geschichte nimmt Friedel Kessler ihre Gesundheit sehr ernst. Für sie ist sie das Zusammenspiel aus Körper und Seele.

Friedel Kessler hat keine Anzeichen oder Schmerzen gespürt, bevor sie die Diagnose Prostatakrebs bekam. Diese erfolgte nach der Auffälligkeit verschiedener Werte. Ihr Blutdruck war erhöht, woraufhin nach einer Blutabnahme ein erhöhter Kreatininwert festgestellt wurde. Friedel Kessler bekam von ihrem Hausarzt Überweisungen zu verschiedenen Spezialist*innen, jedoch keinerlei weitere Informationen. Ein Urologe stellte einen Harnverhalt fest, sodass Friedel Kessler direkt operiert wurde und ein Katheter ihre Blase entlasten sollte. Im Rahmen des Klinikaufenthaltes wurde weiterhin ein erhöhter PSA-Wert festgestellt und eine Biopsie veranlasst. Es wurde ein Prostatakarzinom entdeckt. Hier empfand Friedel Kessler die Aufklärung und Beratung durch den Arzt als sehr umfassend und hat sich gut betreut gefühlt.

Friedel Kessler entschied sich für eine Operation, die sie gut vertrug und die nicht mit nachfolgenden Beeinträchtigungen verbunden war. Obwohl ihr Bruder und ihr Vater bereits an Prostatakrebs erkrankt waren, hatte sie Vorsorge bis dahin nicht allzu ernstgenommen, weil sie gesund lebte, sagt Friedel Kessler. Heute sieht dies anders aus und sie geht regelmäßig zur Nachsorge. 2012 wurde anhand eines erneut zu hohen PSA-Werte ein Rezidiv festgestellt. Sie bekam daraufhin eine dreijährige Antihormonbehandlung sowie eine Strahlentherapie. Diese machte sie sehr schlapp und sie hatte zudem eine Perforation des Darms. So musste Friedel Kessler einige weitere Operationen durchlaufen. Ihre Beeinträchtigungen waren nur temporär.

Der Krebs ist heute für Friedel Kessler eine Störung im Alltag und sie vergleicht ihn mit beruflichen und finanziellen Problemen, für die man einen Umgang finden kann. Das Thema Krebs begleitet sie jedoch weiterhin, zum einen aufgrund ihres Alters und Gleichaltrigen im sozialen Umfeld, zum anderen im Rahmen der Selbsthilfe. Friedel Kessler engagiert sich sehr umfangreich in der Selbsthilfe und sieht diese in gewisser Weise als komplementäre Behandlung. Sie schätzt, dass sie anderen Personen hier auf Augenhöhe begegnet und die Informationen für Laien verständlich sind. 2011 gab es noch wenige Anlaufstellen für Informationen, während sie heute deutlich mehr finden kann. 

Friedel Kessler bezeichnet sich als neugierige Person, die viel und gerne fragt. Vor allem auf diese Art kommt sie an ihre Informationen und hat ihren Körper im Laufe ihres Lebens weiter kennengelernt. Es gibt dennoch immer Neues zu entdecken, sagt Friedel Kessler. Insbesondere bei Berührungen mit der Gesundheitsversorgung habe sie immer wieder gemerkt, dass sie zwischen den Stühlen stehe und sich keinem Geschlecht endgültig zuordnen könne. Als androgyne Person liegt es Friedel Kessler daher besonders am Herzen, dass jeder Körper einzigartig ist und folglich individuell und behutsam behandelt werden sollte. Hierbei ist es wichtig, auf sich selbst aufzupassen und seine Gesundheit ernst zu nehmen, sagt Friedel Kessler. Nach dem gefährlichen und zunächst unbemerkten Harnverhalt sowie der Krebsdiagnose ist jeder Tag ein Geschenk für sie. Auch, wenn die Demenz ihrer Frau sie belastet und nicht mit ihrem Krebs vergleichbar sei, kann Friedel Kessler mithilfe ihrer ausgeprägten Resilienz und religiösen Lebenseinstellung ihren Alltag mit Lebensfreude füllen.

Das Interview wurde im August 2023 geführt.

 

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