Die Erfahrungen von Stephan Bergmann
Zum Zeitpunkt des Interviews im September 2021 war Stephan Bergmann 52 Jahre alt und lebte mit seiner Frau in einem Haus in einer Kleinstadt. Er wurde im November 2020 positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getestet, nachdem seine Frau kurz zuvor bereit positiv getestet worden war. Trotz bereits einsetzender Symptome blieben seine Testergebnisse lange Zeit negativ und wurden dann erst schwach positiv. Stephan Bergmann musste aufgrund seiner schweren Symptome hospitalisiert werden. Er wurde intensivmedizinisch betreut, beatmet und in ein künstliches Koma versetzt. Atembeschwerden begleiteten ihn auch noch zum Zeitpunkt des Interviews, 10 Monate nach der Diagnose.
Im November 2020 wurde Stephan Bergmanns Frau positiv auf COVID-19 getestet, nachdem beide zunächst leichte Erkältungssymptome entwickelt hatten. Sie vermuteten, dass sie sich beim Besuch eines Möbelhauses angesteckt hatten. Dort hatte sich Stephan Bergmann, der sehr auf die Einhaltung der Schutzmaßnahmen bedacht war, aufgrund der vielen Menschen und den teilweise fehlenden Schutzmaßnahmen von Anfang an unwohl gefühlt. Da seine Symptome vorhanden aber zunächst noch leichter als die seiner Frau waren, ging er davon aus, dass auch er sich infiziert hatte. Doch seine Antigen-Selbst- und PCR-Tests fielen wiederholt negativ aus, auch als sich seine Symptome zunehmend verschlimmerten. Er bekam hohes Fieber und schließlich so starke Atemnot, dass er ins Krankenhaus gebracht werden musste. Das dort aufgenommene CT der Lunge, im Zusammenhang mit Stephan Bergmanns weiteren Symptomen, ließ die Ärzt*innen auf COVID-19 schließen. Ein wiederholter PCR-Test bestätigte die Diagnose schließlich mit einem schwach positiven Ergebnis.
Nach drei Tagen auf der Isolationsstation musste Stephan Bergmann auf die Intensivstation verlegt werden. Sein Fieber stieg weiter an, er entwickelte eine Lungenentzündung und nachdem die Beatmung, zunächst mit Hilfe einer Nasenbrille, dann als Druckbeatmung per Maske, nicht mehr ausreichte, wurde er vom 3. Dezember bis zum 11. Dezember 2020 ins Koma versetzt und intubiert. An die Zeit unmittelbar davor kann er sich kaum erinnern, zumal er durch die starken Medikamente auch halluzinierte. Stephan Bergmann wurde zunächst für drei Tage auf der Intensivstation weiterbehandelt, bis sich sein Kreislauf stabilisiert hatte. Dann wurde er für einen Tag nochmals auf die Isolations- und, nach negativen PCR-Tests, für etwa eine Woche auf die Normalstation verlegt. Er benötigte antibiotische, logopädische und physiotherapeutische Behandlung, sowohl aufgrund seiner Lungenentzündung, als auch aufgrund der Folgen von Beatmung und Koma. Herr Bergmann berichtet, dass seine Stimmbänder bei der Intubation verletzt wurden. Bis heute hat er Sprach- und Atemprobleme. Er war zum Zeitpunkt des Interviews weiterhin in logopädischer Behandlung. Kurz vor Heiligabend 2020 entließ ihn ein Arzt mit den Worten nach Hause: "Sie können froh sein, noch ein Weihnachten feiern zu dürfen."
Die Grenzerfahrung des Komas und das Überstehen des für Stephan Bergmann lebensbedrohlichen Zustands prägten ihn nachhaltig. Er sagte, „wenn man einmal an der Klippe stand, auf der Schwelle, da merkt man erst, wie verletzbar das Leben ist“. Zum Zeitpunkt des Interviews war er hoffnungsfroh, zurück zu seinem alten Leben zu finden. Trotz anhaltender Schwäche und Konzentrationsschwierigkeiten nahm er an einer Wiedereingliederungsmaßnahme teil. Von seinen Kolleg*innen und dem Arbeitgeber erfuhr er sehr viel Verständnis und Unterstützung. Das half und berührte ihn sehr. Dennoch sorgte er sich manchmal, wie es weitergehen sollte, falls er nicht schnell genug wieder leistungsfähiger werden würde. Sein Reha-Aufenthalt war leider wenig hilfreich. Dies lag unter anderem daran, dass er mit einer falschen Diagnose registriert wurde und deshalb die Behandlung nicht auf seine tatsächlichen Bedürfnisse ausgelegt war. Er hatte immer wieder das Gefühl, dass behandelnde Ärzt*innen noch nicht ausreichend auf Corona-Patient*innen eingestellt waren und machte diesbezüglich schon mehrfach schlechte Erfahrungen. Auch deshalb war er sehr froh, eine engagierte Hausärztin zu haben, die sich viel Zeit für ihn nahm. Darüber hinaus holte er sich Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe.