Die Erfahrungen von Ruth Großer

Portrait Ruth Großer war zum Zeitpunkt des Interviews im Februar 2022 61 Jahre alt und lebte zusammen mit ihrem Mann in einem Haus in einem Dorf. Sie war als Sachbearbeiterin einer Krankenkasse tätig. Im März 2020 bekam sie Schüttelfrost, Gliederschmerzen, Probleme beim Atmen, Durchfall, Erbrechen, Nasenbluten und Fieber. Da PCR-Tests zu dieser Zeit noch nicht für die Allgemeinheit zugänglich waren, bekam sie keinen PCR-Abstrich. Ein im Juni 2020 durchgeführter Antikörpertest bestätigte eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Sie hat sich bis zum Februar 2022 noch nicht von der Erkrankung erholt, war weiterhin krankgeschrieben.

An einem Morgen im März 2020 fühlte sich Ruth Großer nicht wohl. Zuerst bemerkte sie einen komischen Geschmack im Mund, was dann im Laufe des Tages von Schüttelfrost, Schwierigkeiten beim Atmen und Gliederschmerzen begleitet wurde. Sie machte sich einen Erkältungstee und nahm Dampfbäder, die ihr kurz Linderung gaben. In der Nacht bekam sie Fieber und am nächsten Morgen war sie außer Atem, sobald sie sich bewegte. Sie versuchte, ruhig zu liegen und abzuwarten, bis es vorbei war. Gegen Mittag verschlimmerte sich ihr Zustand und sie bat ihren Ehemann, die Hausarztpraxis anzurufen. Ruth Großer erzählte, dass ihr Arzt eine Grippe vermutete und ihr empfahl, viel zu trinken und dies einfach durchzustehen. Als es am nächsten Tag nicht besser wurde, rief ihr Mann nochmals beim Arzt an, der auch nicht weiterhelfen konnte. Ruth Großer wollte Hilfe, da ihre Atmung so eng wurde und sie Angst bekam. Danach lag sie etwa zwei Wochen nur im Bett oder auf dem Sofa, hatte Durchfall, Erbrechen und Nasenbluten. Es fühlte sich an, als ob ihr Körper nicht mehr richtig funktionierte. Nach diesen belastenden Wochen rief ihr Hausarzt bei ihr an und bestellte sie zum PCR-Test ein. Der Test war negativ. Der Hausarzt hörte die Lunge ab, stellte eine schwere Grippe fest und schrieb sie noch weitere zwei Wochen krank. Ruth Großer versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, aber zu Beginn waren ihre Muskeln dafür noch zu schwach. Sie war früher Leistungssportlerin gewesen, daher war sie dies zunächst nicht gewöhnt. Nach etwa fünf bis sechs Wochen ging Ruth Großer erstmals wieder zu Arbeit, aber sie war dafür noch zu schwach und wurde wieder krankgeschrieben.

Ab Mai 2020 begann Ruth Großer auf Empfehlung ihres Hausarztes eine Reha-Maßnahme in einer psychosomatischen Klinik. In den fünf Wochen der Reha lag sie hauptsächlich im Bett. Alle Blutwerte vor Ort waren gut. Man gab Ruth Großer abschließend den Rat, ihr Blut nach Antikörpern gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 untersuchen zu lassen. Nach der Reha führte sie diesen Test auf eigene Kosten durch und es wurden Antikörper gefunden.

Im Sommer 2020 ging Ruth Großer wieder arbeiten. Aufgrund von Konzentrationsschwierigkeiten unterliefen ihr bei ihrer Arbeit ein paar Fehler, was ihr sehr unangenehm war. Ihr Vorgesetzter war sehr verständnisvoll und unterstützte sie, wo er nur konnte.

Auf der Suche nach Hilfe lief Ruth Großer von Ärzt*in zu Ärzt*in und fühlte sich oft unverstanden. Sie beschrieb, wie die Ärzt*innen vermuteten, dass ihre Symptome psychosomatisch seien und dies verärgerte sie sehr. Ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt empfahl ihr schließlich eine Rehamaßnahme, die für COVID-19 Betroffene ausgerichtet war. Diese Maßnahme begann sie im Januar 2021 und dort fühlte sie sich das erste Mal verstanden, das half ihr sehr und tat ihr gut. Sie lernte dort, auf ihren Körper zu hören und konnte langsam ihre Kondition verbessern. In der Reha stellten die Ärzt*innen fest, dass sie nachts Atemaussetzer hatte, sie bekam eine Sauerstoffmaske. Diese Maske sowie weitere Therapien wie Ergo-, Physiotherapie, Lymphdrainage und Akupunktur halfen ihr dabei, sich gegen Ende der Reha-Maßnahme etwas besser zu fühlen, weitere Strecken zu Fuß zurückzulegen und kontrollierter zu atmen.

Nach der Reha bekam sie keine weiteren Therapien, was sie verärgerte. Daher erarbeitete sie sich selbst eine Strategie und stellte sich ein eigenes Rehabilitationsprogramm für zuhause zusammen, das sie auch zum größten Teil selbst bezahlte. Dieses Programm bestand aus Akupunktur, heilpraktischen Anwendungen, Osteopathie, EMS- und teilweise Gerätetraining. Zudem wendete sie bei Belastung Atemtechniken an, die sie in der Reha gelernt hatte. Darüber hinaus bekam sie noch eine Sauerstoffbehandlung und rhythmische Massage. Ihr Vorgesetzter und die Krankenkasse, für die sie tätig war, unterstützten sie dabei, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Der Austausch mit anderen Betroffenen in der Selbsthilfegruppe half ihr sehr und sie fühlte sich dort verstanden.

Zum Zeitpunkt des Interviews im Februar 2022 war Ruth Großer ausgesteuert, d.h. das Krankengeld war nach 72 Wochen ausgelaufen. Die Erwerbsminderungsrente war beantragt. Ihr eigenes Rehabilitationsprogramm und ihre Selbsthilfegruppe halfen ihr sehr im Umgang mit der körperlichen Schwäche und den Atemproblemen und gaben ihr das Gefühl, selbst aktiv sein zu können.

Alle Interviewausschnitte von Ruth Großer