Die Erfahrungen von Andrea Jesse

Portrait 2012 erhielt Andrea Jesse die Diagnose Brustkrebs. Sie ist zum Zeitpunkt des Interviews 48 Jahre alt, hat einen Partner und zwei Kinder. Ein Geschenk ihrer Tochter, eine Art Maßband zum Abschneiden, begleitete sie durch die Chemotherapie.

Andrea Jesse verspürte zunächst einen Muskelkater ähnlichen Schmerz in der rechten Brust. Vier Wochen später fand ein Abtasten sowie eine Mammographie statt. Eine Biopsie führte zu der Diagnose Brustkrebs. Schon einen Tag später wurde brusterhaltend operiert, der pathologische Befund attestierte jedoch noch vorhandene Krebszellen, so dass Andrea Jesse vier Wochen später eine radikale Brustoperation durchführen ließ. Ende 2012 folgte eine Chemotherapie, bei der sie eine Unverträglichkeit entwickelte und deshalb fünf Tage auf Station verbringen musste. Sie entschied sich aus Angst vor Komplikationen wegen ihres Herzschrittmachers und vor Nebenwirkungen gegen eine Bestrahlung. Kürzlich begann sie eine Hormontherapie und ein Reha-Aufenthalt steht bald an. Über einen Brustaufbau denke sie noch nach.

Bei der ersten Operation war Andrea Jesse froh, dass alles so schnell ging und sie nicht viel Zeit zum Nachdenken hatte. Auf die zweite konnte sie sich vier Wochen vorbereiten. Als ihr nach der Brustabnahme der Verband gewechselt wurde, liefen ihr die Tränen: Sie konnte die Brust erstmal nicht ansehen. Sie erzählt, dass die Erinnerung an ihr Pflegepraktikum noch zu präsent war, als sie in den Achtziger Jahren die furchtbaren Narben einer Brustkrebspatientin sah. Heute könne sie ihre eigene Narbe annehmen, sie sei schöner.

Die Chemotherapien zählte sie nacheinander ab. Zum „Bergfest“ schenkte sie sich ein paar Schuhe. Eine erstellte Tabelle half ihr bei der Einnahme der vielen Beimedikamente. Die ersten Tage verbrachte sie im Halbdunkeln, liegend auf ihrem „Thron“ – ihrer großen Eckcouch, auf der sie in dieser Phase viel Zeit verbrachte, von ihrer Familie versorgt wurde und beispielsweise strickte, trotz der tauben Fingerspitzen. Sie habe versucht, sich die Zeit zuhause schön zu gestalten und Dinge zu tun, die ihr Spaß machten.

Andrea Jesses Partner habe sie nicht allein gelassen und zu allen Arztbesuchen begleitet. Durch seine berufliche Selbstständigkeit konnte er auch viele Aufgaben im Haushalt erledigen. Dass er sie nicht „in Watte packte“, fand sie gut. Für ihre Kinder und ihre Eltern versuchte sie, Stärke zu zeigen. Freunde, die sich aus einer Unsicherheit heraus nicht meldeten, rief sie selbst an. Innerhalb ihrer Pfarrgemeinde erfuhr sie viel Anteilnahme, obwohl sie aufgrund der Infektionsgefahr auf den Kirchgang verzichten musste. Als sie an Ostern das erste Mal wieder dorthin kam, war das auch für sie eine Art Neuanfang.

Das Interview wurde Anfang 2013 geführt.

 

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