Die Erfahrungen von Tim Meier

Portrait Tim Meier ist zum Zeitpunkt des Interviews 31 Jahre alt und lebt gemeinsam mit seiner Partnerin. Er ist Teilzeit erwerbstätig und arbeitet an seiner Dissertation. 2021 erkrankte Tim Meier an einem Rektumkarzinom, es folgten wiederholt Metastasen in der Leber. Zum Zeitpunkt des Interviews durchläuft er eine Chemotherapie. Die intensive Unterstützung durch sein soziales Umfeld hilft ihm u. a. beim Umgang mit seiner Krebserkrankung. Weiterhin fällt es Tim Meier leichter, dem Krankheitsgeschehen in kleinen Schritten zu begegnen und dadurch auch kleine Erfolge zu feiern.

Tim Meier fühlte sich im Herbst 2020 depressiv verstimmt und ständig müde. Zum Ende des Jahres kamen Fieberschübe hinzu. Er suchte seinen Hausarzt auf und bei einem Ultraschall wurden suspekte Körper in seiner Leber entdeckt. Es wurde ein Tumor im Darm gefunden, der gewissermaßen durch die Nebenwirkungen von drei Lebermetastasen mit kritischer Größe bemerkbar wurde. Im Februar 2021 begann für Tim Meier eine Duplett-Chemotherapie zur Verkleinerung der Metastasen. Durch Nebenwirkungen wie Polyneuropathie und extreme Hautreaktionen musste er auf seinen Ausgleich des Joggens verzichten. Tim Meier empfand es als hilfreich, informiert zu sein und die Wirkungen und Mechanismen in seinem Körper zu verstehen. Dadurch sowie durch eine Meningokokken-Infektion im Alter von 12 Jahren, die ihn bereits mit körperlichen Veränderungen und Grenzen konfrontiert hatte, konnte er die Krankheit einfacher akzeptieren.

Im Mai 2021 waren die Metastasen klein genug, sodass im Juni die OP erfolgte. Seine Familie ermutigte Tim Meier dazu, Zweitmeinungen einzuholen. Da seine Eltern und seine Schwester selbst einen medizinischen Hintergrund haben, konnten sie ihn bei der Entscheidungsfindung unterstützen und er ging schließlich der Empfehlung eines Leberchirurgen nach, dessen Kompetenz und Empathie er auch heute noch schätzt. Die OP schwächte Tim Meier, war jedoch erfolgreich. Er erholte sich und bekam zugleich eine milde Chemotherapie in Tablettenform sowie wurde der Primärtumor im Darm bestrahlt. Auch diese Behandlungen waren wirksam und Tim Meier spürte außer der Müdigkeit keine Nebenwirkungen, sodass er im September 2021 eine Woche mit Freund*innen in den Urlaub fahren konnte und dies als schöne Auszeit empfand. 

Durch eine Rektoskopie im Oktober 2021 konnten noch aktive Krebszellen nachgewiesen werden, sodass eine weitere OP erfolgte. Tim Meier setzte sich intensiver mit den möglichen Folgen, wie Inkontinenz, auseinander, da der Tumor ungünstig lag. Er entschied sich für ein permanentes Kolon-Stoma. Es kam in der Folge zu einer vollständigen Entfernung des Schließmuskels. Tim Meier empfand das Stoma als neue Herausforderung, aber schlimmer war für ihn das komische, haltlose Gefühl sowie Schmerzen im Beckenbereich. Beides hat sich mittlerweile normalisiert, sagt Tim Meier. Er setzte sich im Genesungsprozess kleine Ziele und plante nebenbei schöne Dinge ein, die ihm Vorfreude schenkten und der Krankheit weniger Raum gaben.

Ein Rückschlag Ende 2021 waren für Tim Meier acht neue Lebermetastasen, die eine neue Chemotherapie veranlassten. Er realisierte, dass seine Krankheitsgeschichte nicht beendet war und das Thema Tod und Sterben wurde für ihn präsenter. Wichtig für seine Bewältigung sind und waren eine psychoonkologische Begleitung sowie die offene Kommunikation mit seinen Liebsten. Die neue Kombination der Chemotherapie verhinderte die Polyneuropathie und war insgesamt besser verträglich. Zwar bekam Tim Meier Migräne, die er jedoch medikamentös behandeln konnte. Sport fehlte ihm als Ausgleich und zum Stressabbau. Stattdessen hat Tim Meier sich während der COVID-19-Einschränkungen beispielsweise durch virtuelle Online-Spiele mit Freund*innen getroffen.

Da trotz Chemotherapie noch zwei Metastasen blieben, wurde Tim Meier im Mai 2022 erneut operiert. Zwar war er noch sehr schwach, aber es gab ihm Sicherheit, dass er mittlerweile die Abläufe kannte. Die OP lief wie geplant und es wurde ein metastasierter Lymphknoten entfernt. Aufgrund von neuen Metastasen im Juli 2022 erfolgte von August bis November 2022 eine weitere Chemotherapie, bei der Tim Meier nun auch Übelkeit spürte und sich häufig übergeben musste. Er versuchte während der gesamten Zeit, ein wenig weiter zu arbeiten und ist sehr dankbar für die Flexibilität und Rücksicht seines Chefs. Zeitweise bei der Arbeit zu sein gab Tim Meier während der Pandemie ein Gefühl der Teilhabe. Zugleich fiel seine Abwesenheit pandemiebedingt weniger auf und er fühlte sich weniger ausgeschlossen. Eine letzte Metastase im November wurde hochfrequent bestrahlt, bevor im Februar 2024 wieder neue Metastasen im MRT zu sehen waren. Es folgten erneut Chemotherapie und OP, wovon Tim Meier sich zum Zeitpunkt des Interviews erholt und sein Nachsorgetermin kurz bevorsteht.

Tim Meier ist während seiner Krebserkrankung als Mensch gewachsen und hat gelernt, seine Bedürfnisse konsequenter zu kommunizieren, sagt er. Er schätzt seine Autonomie und Selbständigkeit. Zwar weiß er nicht genau, was bei ihm gerade passiert, zumal es keine Nachweise genetischer Veranlagung gibt. Tim Meier vermutet aber, dass er im frühen Stadium des Darmkrebses bereits Mikrometastasen in der Leber hatte, die langsam wachsen und nicht direkt im MRT sichtbar sind. Darüber hinaus sagt er, dass ihn genauso eine solche Krankheit treffen kann, wie andere, und es daher keine Schuldfrage sein sollte. Tim Meier empfindet sein Leben als lebenswert und ist z. B. dankbar für die innigen Beziehungen im soziale Umfeld und dafür, dass er Onkel geworden ist. Eigene Kinder spielen zurzeit noch keine Rolle, sagt er, aber er hat die Option der Kryokonservierung genutzt. Seine Partnerin gibt ihm Rückhalt und passt zugleich auf sich selbst auf, indem sie ihre eigenen Grenzen setzt, sagt Tim Meier. Sie hilft ihm dabei, aktiv zu bleiben. So freut er sich über jeden kleinen Erfolg im Alltag, z. B. moderate Bewegungsübungen und das Weiterarbeiten an seiner Dissertation.

Das Interview wurde im Juli 2023 geführt.

 

Alle Interviewausschnitte von Tim Meier

Für Tim Meier war die Diagnose aufgrund seines jungen Alters unwirklich, auch wenn er sich schnell bewusst war, dass immer eine Wahrscheinlichkeit besteht.

Tim Meier hatte depressive Verstimmungen, auf die Müdigkeit, Fieberschübe und Seitenstechen folgten.

Tim Meier konnte trotz seines jungen Alters zum Erkrankungszeitpunkt keine genetische Veranlagung nachgewiesen werden.

Bei Tim Meier war zunächst nicht sicher, ob im Anschluss an Chemotherapie und Bestrahlung noch eine OP notwendig ist.

Bei Tim Meier hat die Chemotherapie zu extremen Hautreaktionen geführt, welche wiederum Schlaflosigkeit und Narben auslösten.

Tim Meier hatte nach der OP starke Schmerzen und war durch das Körpergefühl im Beckenbereich im sehr verunsichert.

Tim Meier fand es schön, dass sein Arzt sich auch nach seinen privaten Angelegenheiten erkundigt hat.

Tim Meier hatte einerseits von OP zu OP Sorge, dass sein Körper schwächer wurde, andererseits erleichterte es ihn, dass er die Abläufe kannte.

Tim Meier war von der Technik der Bestrahlung begeistert.

Tim Meier scheint Mikrometastasen zu haben, die auf den MRT-Bildern immer erst nach Wachstum sichtbar sind.

Tim Meier ermutigt zum Einholen zweiter Meinungen.

Tim Meier half es, sich auf Fakten zu stützen und seine Autonomie beizubehalten.

Tim Meier stieß auf große Unterstützung und Flexibilität in seinem Arbeitskontext.

Tim Meier hatte zwar einige Kosten aufgrund von Pflegeprodukten, ist aber dankbar für die diversen finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten im deutschen Gesundheitssystem.

Tim Meier ist dankbar für den pragmatischen Umgang seiner Freundin.

Tim Meier schiebt das Thema Familienplanung zunächst auf und ist sich darüber mit seiner Freundin einig.

Tim Meier sieht in seiner Krankheit das Potenzial von Weiterentwicklung und Bewusstsein für sein Umfeld.

Tim Meier macht sich viele Gedanken um die Sorgen seiner Familie und Freund*innen.

Tim Meier hat neben seinen Notizen die Begleitung seiner Familie Sicherheit gegeben.

Tim Meier traut sich aufgrund der Subjektivität nicht, eine Botschaft für andere Betroffene zu formulieren.

Tim Meier wäre gerne auf das Gefühl der Verlusttrauer vorbereitet gewesen.