Verschiedene Anfallsformen erleben

Zu einem epileptischen Anfall kommt es, wenn die normale Nervenaktivität im Gehirn plötzlich unterbrochen ist. Es gibt sehr viele verschiedene Formen von Anfällen, und eine betroffene Person kann auch mehr als eine Form von Anfällen haben. (genaueres siehe IZE).

Es existieren sehr viele verschiedene Begriffe für die Anfälle und gegenwärtig gebraucht auch die medizinische Fachwelt seit der Einführung eines neuen Klassifikationssystems im Jahr 2010 unterschiedliche Begriffe aus altem und neuem System. (siehe Infos und Links)

Wir verwenden zur praktischen Verständigung Begriffe, die derzeit im Sprachgebrauch von Patienten und Ärzten weit verbreitet sind.

Epileptische Anfälle lassen sich in zwei große Gruppen unterteilen: fokale Anfälle und generalisierte Anfälle. Fokale Anfälle entstehen in einem bestimmten Bereich im Gehirn und finden nur in diesem Teil statt. Bei den generalisierten Anfällen breitet sich der Anfall sehr schnell im gesamten Gehirn aus, hier ist das Bewußtsein immer beeinträchtigt. Auch ein fokaler Anfall kann sich zu einem generalisierten Anfall entwickeln.

Einfach fokale Anfälle und Auren

Bei den einfach fokalen Anfällen erlebt die betroffene Person den Anfall bewusst mit. Es kann entweder die Motorik betroffen sein, so dass sich z.B. ein Körperteil plötzlich für kurze Zeit verkrampft. Oder es handelt sich um sensorische Wahrnehmungen, wie ein plötzliches Kribbeln in einem Körperteil.

Bei Sven Franke verkrampfte sich die Zunge im einfach fokalen Anfall immer wieder für einige Sekunden.

Manche Menschen mit Epilepsie beschreiben, dass sie vor einem Anfall eine Aura haben, ein Vorgefühl. Eine Aura ist eigentlich ein einfach fokaler Anfall, bei dem die Person ein komisches Gefühl hat, das nur sie selber wahrnimmt und das manchmal kurz vor Beginn eines größeren Anfalls auftritt.

Einige Erzähler beschreiben ihre Auren als ein Übelkeitsgefühl, das aus dem Bauch aufsteigt. Andere haben das Gefühl von einem Déja-Vue, d.h. sie haben das Gefühl, die Situation schon einmal erlebt zu haben. Wieder andere spüren ein Kribbeln, einen komischen Geschmack oder ein Angstgefühl. Und einige spüren etwas, was sich aber nicht in Worte fassen lässt.

Katharina Sommer spürt manchmal ein komisches Bauchgefühl vor dem Anfall.

Als Kind wusste Anna Blum nicht, was das komische Déja-Vue zu bedeuten hatte.

Auren können als Vorwarnung vor einem Anfall auftreten, sie können aber auch einzeln auftreten, ohne dass ein Anfall folgt. Nicht alle Menschen mit Anfällen haben Auren.

Für viele, die Auren haben, ist es gut zu wissen, dass sie noch einige Sekunden haben, sich in Sicherheit zu bringen und z.B. auf den Boden zu setzen, bevor ein größerer Anfall beginnt.

Martin Krügers Aura läßt sich schwer in Worte fassen.

Anton Huber erlebt seine Auren als ein Gefühl, als ob ein fremder Wille eingreift.

Komplex fokale Anfälle

Bei den komplex-fokalen Anfällen ist eine bestimmte Region des Gehirns betroffen. Je nachdem, für was diese Hirnbereiche zuständig sind, sind unterschiedliche Funktionen von dem Anfall betroffen. Da die Betroffenen nicht einfach ohnmächtig werden, sondern noch zu Handlungen fähig sind, die aber nicht mehr willkürlich steuern können, ist es für Außenstehende oft sehr schwer, den Anfall als einen solchen zu erkennen.

Einige Interviewpartner erzählen, dass sie bei den Anfällen kurze „Aussetzer“ haben. Aus den Beschreibungen ihrer Mitmenschen wissen sie, dass sie vor sich hinstarren, nicht reagieren, abwesend wirken, Dinge fallen lassen. Manche Erzähler bekommen davon selbst gar nichts mit, andere erleben es mit, können aber zum Beispiel nicht mehr sprechen oder reagieren.

Alexandra Ludwig bekommt in ihren Anfällen fast alles mit, kann aber nicht sprechen.

Einige Erzähler berichten, dass sie im Anfall an ihrer Kleidung nesteln, schmatzen oder schlucken oder sich einnässen.

Andere erzählen, dass sie im Anfall herumlaufen und manchmal unsinnige Dinge tun oder desorientiert sind.

Thomas Kern findet es manchmal unglaublich, was er in einem Anfall tut.

Monika Schulz wußte bei einem Anfall nicht mehr, wie sie nach Hause kommen soll.

Stefan Köhler erfuhr im Nachhinein von der Schwester, was er während einer Nacht in der Klinik im Anfall alles gemacht hatte.

Einige Erzähler berichten, dass ihnen ihre Anfälle im Nachhinein sehr peinlich waren, weil sie sich zum Beispiel im Anfall vor anderen ausgezogen oder Dinge versteckt hatten.

Komplex-Fokale Anfälle können auch motorische Veränderungen beinhalten wie z.B. mit dem Oberkörper nach vorne gehen, Laute von sich geben, mit einem Bein zucken.

Cornelia Schmitt bekommt teilweise mit, wie ihr Körper sich verhält, kann es aber nicht beeinflussen.

Sekundär generalisierte Anfälle

Manchmal breitet sich ein einfach fokaler oder komplex-fokaler Anfall auch im Gehirn aus und wird zu einem generalisierten Anfall, von dem dann der ganze Körper betroffen ist.

So erlebte Sven Franke ein paar Mal, wie der Anfall mit dem Verkrampfen der Zunge begann und sich dieser Krampf langsam auf seinen ganzen Körper ausdehnte bis er das Bewusstsein verlor und einen tonisch-klonischen Anfall bekam.

Generalisierte Anfälle

Auch bei den generalisierten Anfällen, die das ganze Hirn betreffen, gibt es verschiedene Formen.

Tonisch-klonische Anfälle

Tonisch-klonische Anfälle wurden früher als „Grand-Mal“-Anfälle oder „Große Anfälle“ bezeichnet. An diese Anfälle denken die meisten Menschen, wenn sie schon mal was von Epilepsie gehört haben. Dabei verliert die betroffene Person das Bewusstsein, häufig stürzt sie zu Boden, der ganze Körper wird erst steif und dann kommt es zu zuckenden Bewegungen der Arme und Beine. Manchmal beißt sie sich dabei auf die Zunge, häufig tritt Speichel aus dem Mund aus. Nach 2-3 Minuten ist der Anfall vorbei und die Person kommt langsam wieder zu sich.

Claudia Hartmann erzählt, wie ein tonisch-klonischer Anfall bei ihr abläuft.

Manche Erzähler haben regelmäßig tonisch-klonische Anfälle. Andere hatten das nur ein bis zweimal zu Beginn der Erkrankung, bis sie Medikamente bekamen. Seitdem treten bei ihnen nur noch kleinere Anfälle auf.

Nach einem tonisch-klonischen Anfall ist die betroffene Person häufig erschöpft und muss sich ausruhen oder schlafen. Unsere Interviewpartner berichten von ganz unterschiedlichen Erfahrungen nach einem tonisch-klonischen Anfall: Einige schlafen den ganzen Tag und brauchen 1-2 Tage, bis sie sich wieder fit fühlen. Manche klagen über starke Kopfschmerzen und Muskelkater im ganzen Körper. Andere sind sehr schnell wieder auf den Beinen und können ganz normal ihren Beschäftigungen nachgehen. Bei manchen dauert es länger, bis sie wieder ganz orientiert sind oder auch wieder sprechen können.

Katharina Sommer kann nach einem Anfall eine Zeit lang noch nicht sprechen. Das ist ein komisches Gefühl.

Andreas Bergmann hat nach Anfallshäufung oft für einige Zeit eine veränderte Wahrnehmung seiner Umwelt.

In seltenen Fällen hört ein Anfall nicht von selbst auf oder es folgen immer wieder weitere Anfälle hintereinander. Das bezeichnet man als Status epilepticus oder eine Serie. In diesem Fall ist es unbedingt notwendig, einen Notarzt zu rufen, da der Anfall in diesem Fall gefährlich werden kann.

Tonische und atonische Anfälle

Bei tonischen oder atonischen Anfällen verändert sich auf einen Schlag die Spannung in den Muskeln des Betroffenen, was häufig zum Sturz führt. Bei tonischen Anfällen wird der ganze Körper steif, und die Person stürzt wie ein gefällter Baum. Bei atonischen Anfällen sackt die Person in sich zusammen.

Einige unserer Erzähler erlebten eine zeit lang auch solche Anfälle.

Absencen

Absencen sind ebenfalls generalisierte Anfälle, bei denen die betroffenen Personen für wenige Sekunden wie abwesend sind. Sie bekommen in diesem Moment nichts von ihrer Umgebung mit und merken nur im Nachhinein, dass ihnen „ein Stück“ fehlt.

Von außen sind die Absencen manchmal kaum zu erkennen, die Betroffenen sehen kurz starr vor sich hin, sind aber so schnell wieder bei Bewusstsein, dass Absencen von Außenstehenden nicht unbedingt wahrgenommen werden.

Sarah Schneider versuchte im Studium, ihre Absencen zu überspielen, was sehr anstrengend für sie war.

Seltenere Anfallsformen

Neben den beschriebenen Anfallsformen gibt es noch eine Fülle weiterer Anfallsarten, die hier nicht alle aufgeführt werden können.

Eine Interviewpartnerin leidet an einer Epilepsia partialis continua, einem fokalen myoklonischen Status. Sie hat seit Beginn der Erkrankung vor einigen Jahren Myoklonien, also kleine Muskelzuckungen im rechten Arm, die ständig andauern. Je nach Medikament, das sie nimmt, sind die Zuckungen mal stärker oder mal schwächer, aber sie gehen nie ganz weg.

In ihrem rechten Arm hat Renate Lang fast immer ein Muskelzucken.

Beate Pohl hatte schon sehr viele verschiedene Anfallsarten im Laufe ihres Lebens. Eine zeit lang hatte sie auch Lachanfälle, sogenannte gelastische Anfälle, bei denen die Betroffenen unwillkürlich und ohne es steuern zu können im Anfall lachen müssen. Nach ungefähr zwei Jahren verschwand diese Anfallsform bei Beate Pohl wieder.

Wie häufig die Anfälle auftreten und zu welchen Zeiten, ist bei unseren Erzählern sehr unterschiedlich. Für manche ist es schon eine Verbesserung, dass sie nur noch einen Anfall am Tag haben, andere haben in ihrem Leben nur 2-4 Anfälle im Verlaufe vieler Jahre gehabt.

Auch wann die Anfälle auftreten, ist sehr unterschiedlich: einige Interviewpartner haben ausschließlich schlafgebundene Anfälle, die nachts auftreten.

Julia Brandt hat nur schlafgebundene Anfälle, das macht manches einfacher.

Bei anderen können die Anfälle zu jeder Tag- und Nachtzeit auftreten (siehe auch Thementext „Anfallsauslöser und Kontrollierbarkeit“). Bei einigen Erzählern treten die Anfälle immer gehäuft auf, in sogenannten Clustern, danach ist dann wieder einige Zeit Ruhe.

Viele unserer Interviewpartner finden es sehr komisch , dass sie selbst von ihren Anfällen nichts oder nur wenig mitbekommen, obwohl es ihnen ja geschieht.

Martin Vogt beschreibt das mit dem Satz: „bin nie dabei und bin doch dabei“.

So berichten einige, dass sie ganz auf die Schilderungen der Menschen um sie herum angewiesen sind, um zu wissen, ob sie Anfälle hatten und wie diese aussehen. Einige berichten, dass es ihnen anfangs schwer fiel, zu glauben, dass sie wirklich einen Anfall hatten.

Timo Lindner glaubte als Kind, seine Familie wolle ihn nur ärgern mit den Schilderungen der Anfälle.

Viele Erzähler mit komplex-fokalen Anfällen berichten, dass sie plötzlich eine Erinnerungslücke haben. ihnen fehlt „ein Stück“, die Zeit ist vorangeschritten oder sie finden sich plötzlich an einem anderen Ort und wissen nicht, wie sie hier hin gekommen sind.

Martin Vogt bemerkt seine Anfälle, weil ihm ein paar Minuten fehlen.

Andere, die z.B. nächtliche tonisch-klonische Anfälle haben, berichten, dass sie es am nächsten Tag am Zungenbiss oder am Muskelkater spüren, dass sie wieder einen Anfall hatten.

Psychogene Anfälle

Neben den geschilderten epileptischen Anfällen, die durch Veränderungen in der Nerventätigkeit des Gehirns ausgelöst werden, gibt es auch Anfälle, die durch psychische Ursachen entstehen. Diese können vom Erscheinungsbild epileptischen Anfällen so ähnlich sehen, dass selbst Ärzte die beiden Formen nicht auseinander halten können. Eindeutig lassen sie sich diagnostizieren, wenn während eines Anfalls ein EEG abgeleitet wird.

Einige unserer Interviewpartner haben beide Formen von Anfällen. Sie haben eine Epilepsie und zusätzlich bekamen sie irgendwann im Laufe der Zeit auch psychogene Anfälle

Martin Krüger hat neben den epileptischen auch psychogene Anfälle.

Eine Interviewpartnerin hatte kurz vor dem Interview erfahren, dass sie nicht, wie sie jahrelang dachte, epileptische, sondern ausschließlich psychogene Anfälle hat.

Die Suche nach einer Ursache für die psychogenen Anfälle ist schwierig für Silke Fuchs.

Silke Fuchs erklärt, wie es zu psychogenen Anfällen kommt.